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„Vegan in der Schwangerschaft – ist das überhaupt möglich?

In den Medien liest man immer wieder von Mangelernährung und den Gefahren.

Wir sprachen mit Expertin Carmen Hercegfi über ihre Erfahrungen, als vegane Mutter und ausgebildete Ernährungsberaterin

Sie belehrt uns nicht nur eines besseren, sondern verrät uns zum Ende auch noch ihre persönlichen Top 5-Tipps für vegane, werdende Mütter.

Carmen Hercegfi (41) ist alleinerziehende Mutter und lebt und arbeitet mit ihren Söhnen (14 und 4 Jahre alt) und einem Hund aus dem Tierschutz in Hamburg. Mit ihrer zweiten Schwangerschaft hängte sie ihren Job als Immobilienmaklerin an den Nagel, begab sich in Ausbildung zur ganzheitlichen Ernährungsberaterin sowie vielen Weiterbildungen, um den Schwerpunkt auf die vegane Familienernährung zu legen. 

2017 veröffentlichte sie ihr erstes Buch „Vegan in anderen Umständen“.  Im Herbst 2019 erscheint ihr zweites Werk „Vegan für unsere Sprösslinge“, das sie zusammen mit der Ernährungswissenschaftlerin Anna Maynert veröffentlicht. Aktuell befindet sich die quirlige Autorin neben der Ernährungsberatung, der Arbeit an Büchern, Vorträgen, als Dozentin und Online Kursen außerdem in Heilpraktikerausbildung.

Wir trafen sie zum Interview und stellten ihr die wichtigsten Fragen zu veganer Ernährung in, vor und nach der Schwangerschaft.

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Wie lange lebst du schon vegan und wie ist es dazu gekommen, dass du dich entschlossen hast, vegan zu leben?

Carmen Hercegfi: Ich wurde 2008 auf die Ernährung nach dem Säure-Basen-Verhältnis aufmerksam, nachdem ich gesundheitlich starke Probleme hatte. Rheuma, Asthma, ständige Bauchschmerzen und Darmkrämpfe, extreme Müdigkeit und Erschöpfung plagten mich tagein tagaus. Als ich kurz vor einem Darmverschluss stand, änderte ich radikal meine Gewohnheiten. Es fiel mir nicht schwer auf Fleisch zu verzichten, weil ich schon von 1994 bis  2001 vegetarisch gelebt hatte. Auf Milch zu verzichten war auch unproblematisch, da ich schon länger die Vermutung hatte, dass ich sie nicht vertrage und mit anderen Alternativen experimentiert hatte. Käse aß ich sehr selten und nur wenn es mir gerade gut ging. Ich stellte aber sehr schnell fest, dass es mir danach schlechter ging und so beschränkte sich diese Ausnahme auf etwa das erste Jahr nach der Umstellung. Fisch, Eier und Honig blieben noch, wenn auch selten. Weite Strecken waren komplett vegan. 3 Jahre später besuchte ich einen Vortrag von Rüdiger Dahlke zum Thema Peace Food und auf einmal wurde mir klar, dass für mich auch Ausnahmen nicht mehr vertretbar sind. Das war 2011. Das vegane Leben erstreckte sich erstmal auf meinen Teller und setzte sich dann nach und nach in der ganzen Wohnung fort. Allerdings trage ich noch alte Teile aus Leder und Wolle auf, kaufe sie sogar gebraucht, weil hier für mich der Aspekt der Nachhaltigkeit immer noch an erster Stelle steht.

Auch deine Schwangerschaft lief komplett vegan. Wie hast du dich darauf vorbereitet?

Carmen Hercegfi: Gar nicht – meine Schwangerschaft war völlig ungeplant. Ich war zu der Zeit in Nigeria und ich konnte damals aus hygienischen Gründen kaum frischen Salat essen. Aber meine Ernährung im Vorfeld muss wohl gut genug gewesen sein 😉

Was ist dir zu Anfang deiner Umstellung besonders positiv aufgefallen?

Carmen Hercegfi: Meine Verdauung hatte sich innerhalb einer Woche normalisiert – ein Zustand, den ich sei meiner Jugend nicht mehr so kannte. Damit veränderte sich mein ganzes Wohlbefinden.  

Ich muss aber dazu sagen, dass das alles ein Prozess ist. Ich habe mich in den letzten 11 Jahren sehr viel von Heilpraktikern begleiten lassen und mein Weg dauert weiterhin an.
Er erstreckt sich aber inzwischen hauptsächlich auf den Bereich Entspannung. Der kommt bei einer selbstständigen Alleinerziehenden automatisch viel zu kurz. Da mein Wesen sehr energiegeladen ist, fällt es mir manchmal schwer abzuschalten und Pause zu machen. 

Es ist also niemals nur die Ernährung alleine. Das erklärt vielleicht auch meinen Weg: Ernährungsberatung, Heilpraktiker und danach folgt die Yogaausbildung. Letztere hätte ich schon längst begonnen oder fertig, wäre der Heilpraktiker nicht so einnehmend (insbesondere in Kombi mit den anderen Punkten auf der To-Do Liste und im Leben ;))

Du bist unter anderem Autorin des Buchs „Vegan in anderen Umständen“ – was war dein Antrieb, dieses Buch zu schreiben und was genau finden werdende Mütter darin?

Carmen Hercegfi: Ganz einfach: Als ich meine vegane Schwangerschaft feststellte, war in Deutschland noch kein Buch zu finden. Damals fasste ich den Entschluss und es kam zum Wendepunkt in meinem Leben. Deshalb machte ich die Ausbildung und viele Weiterbildungen. Ich arbeitete 3 Jahre daran. Beim Nährstoffteil hat mich Sarah Gebhardt von Pflanzenhunger unterstützt, damit wir wissenschaftlich unangreifbar sind.

Werdende Mütter finden darin einen etwa 100 Seiten umfassenden Ratgeberteil mit Fachmeinungen von Ärzten und Erfahrungsberichten, leicht verständlichen Infos zu den potentiell kritischen Nährstoffen und vor allem sehr viele Infos zu veganen Stillzeit. Die wird nämlich leider ständig vergessen, obwohl sie fast noch wichtiger ist als die Schwangerschaft. Hinzu kommen noch knapp 140 gesunde vegane Rezepte, speziell abgestimmt auf die vegane Schwangerschaft. Ich glaube ich kann mit ein wenig Stolz verkünden, dass das Buch mit das beliebteste oder sogar das beliebteste bei den veganen Mamis ist.

Musstest du aufgrund deiner veganen Ernährung auf bestimmte Nährstoffe besonders achten? Hattest du einen Arzt, der dich hier besonders gut beraten hat?

Carmen Hercegfi: Natürlich wie bei allen anderen Veganern und auch anderen Mamis (unabhängig von der Ernährungsform)  insbesondere B12, Vitamin D, Jod, Folat, Omega-3 insbesondere DHA, Calcium, Zink und B2. Ein Arzt, der mir helfen konnte? Nein, aber ich war froh, dass sie nicht dagegen waren. Hilfe bekam ich von meinem Heilpraktiker oder ich suchte mir die Informationen selbst.

Wie gehst du mit Kritikern und Konfrontationen anderer Eltern um?

Carmen Hercegfi: Ehrlich gesagt ignoriere ich das Meiste inzwischen. Mich fasst das kaum noch an. Dafür weiß ich zu viel und meine Gewissheit, dass sich diese Meinung in der nahen Zukunft in der Gesellschaft dreht, ist auch zu groß. Du weißt ja: Erst lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich… und dann feiern sie dich – oder so ähnlich 😉

Von vielen Müttern kenne ich die Aussage, dass sie während der Schwangerschaft auf die absurdesten kulinarischen Variationen Lust bekommen. Kam dir währenddessen mal der Gedanke, doch wieder etwas nicht-veganes zu essen?

Carmen Hercegfi: Ja! Käse und Eier. Käse habe ich nicht angefasst, aber ich habe einmal ein Ei gegessen.
Das war extrem seltsam, aber danach war auch gut. Das höre ich öfter. Ich finde es wichtig, dass die Mamis entspannt damit umgehen. Wenn sie denn Ausnahmen machen, sollten sie sich auf keinen Fall dafür kasteien. Das ist ja auch unfassbar schlecht fürs Baby, denn sie wohnen in uns und bekommen alle Emotionen ungefiltert mit.

Was sind die größten Herausforderungen im Alltag für dich?

Carmen Hercegfi: Ich kenne keine. Vielleicht hab ich mich aber auch nur schon so lange dran gewöhnt, dass es mir gar nicht auffällt.

Wie sind deine Pläne für die Zukunft und was wird es von dir 2019 noch neues geben?

Carmen Hercegfi: Abgesehen vom nächsten Buch „Vegan für unsere Sprösslinge“ wollen Anna und ich auch einen Online-Kurs für die vegane Familienernährung launchen.
Ab und an biete ich Challenges für die ganzheitliche Gesundheit mit den Säulen Ernährung, Bewegung und Entspannung an. Man findet mich auf Messen und Veranstaltungen. Mal sehen was das Jahr noch bringt. Aber wenn Buch und Online-Kurs im Kasten sind ist der Fokus auf der Vorbereitung zur Heilpraktikerprüfung.

Welche Top 5 Tipps hast du für werdende Mütter, die auch in ihrer Schwangerschaft vegan leben?

1. Beschäftigt euch intensiv damit worauf ihr achten müsst.

2. Stellt euren Speiseplan entsprechend der veganen Ernährungspyramide um

3. Nehmt die richtigen Supplemente. Produkte aus der Drogerie für 2,95 für 2 Monate können schlicht und ergreifend NICHT ausreichend wirken und enthalten zusätzlich unfassbar viele unnötige Zusätze, wie Füllstoffe, Trennmittel, Farb- und Überzugsstoffe, sowie nur synthetische Nährstoffe. Qualität kostet.

4. Sucht euch rechtzeitig eine gute Hebamme und eine gute Begleitung für die Geburt, macht sinnvolle Vorbereitungskurse. Aber das macht ihr sowieso

5. Entspannt euch. Lasst euch nicht reinreden und geht am besten zum Schwangerschaftsyoga.

"Ich verlange nicht den Aspekt der Ernährung außer Acht zu lassen. Ganz im Gegenteil. Aber ich wünsche mir eine Gleichbehandlung und Ernst genommen zu werden..."

Was möchtest du zum Schluss unbedingt noch loswerden?

Carmen Hercegfi: Es gibt eine Sache, die mir immer wieder auffällt. Wenn vegane Schwangere oder vegane Kinder erkranken, werden sie häufig darauf aufmerksam gemacht, dass die vegane Ernährung daran Schuld ist.

Ich will nicht sagen, dass das immer falsch ist, denn eine falsch durchgeführte Ernährung – ganz egal welche Ernährungsform das ist, kann natürlich auch zu Beschwerden führen, ABER ich wünsche mir von Ärzten tatsächlich etwas mehr Differenzierung statt Vorverurteilung. Mein großer Sohn hat eine exokrine Pankreasinsuffizienz, d.h. seine Bauchspeicheldrüse bildet so gut wie keine Verdauungsenzyme mehr. Dadurch wurde er sehr dünn und wuchs nicht mehr. Die Ärzte machten ständig die vegane Ernährung dafür verantwortlich, die dann angeblich sogar zur Essstörung bei ihm führte – und das obwohl die ersten Ergebnisse aus der Stuhlprobe schon stark auf seine Thematik hindeuteten und obwohl er nicht vegan aufgewachsen ist, ja nicht einmal bis heute 100%ig vegan ist, weil er bei Papa und in der Schule selten noch mischköstliches Essen (milchfrei) bekommt. Heute sind alle bekannten Ursachen ausgeschlossen und unser nächster Step ist die Humangenetik. Ihm geht es wieder besser und er nimmt zu und wächst, weil er die Enzyme supplementiert.

Immer wenn seine Kurve nicht so verläuft muss ich mir wieder Vegan-Sprüche (nur von der Klinik, die Kinderärztin ist übrigens voll auf unserer Seite) anhören. Dass er als Teenie seine Tabletten häufig vergisst und diese Mahlzeit quasi in der Toilette landet, interessiert dann auch nicht. Ich stehe am Pranger und das ist unfassbar nervig, weil ich genau weiß, dass es nicht stimmt. Sogar ich fühle mich in so einer Situation hilflos und ich höre immer öfter von ähnlichen Situationen. Interessanterweise ist mein komplett veganes Kind seit der Geburt extrem gesund – und zwar in körperlicher UND geistiger Hinsicht. Er entwickelt sich motorisch und kognitiv mehr als vorbildlich. Also mein Appell an Ärzte: Bitte hört auf Vorurteile zu fällen und schaut euch alle Aspekte an. Vegane Eltern sind in der Regel sehr gut informiert. Ich verlange nicht den Aspekt der Ernährung außer Acht zu lassen. Ganz im Gegenteil.  Aber ich wünsche mir eine Gleichbehandlung und Ernst genommen zu werden..

Vielen Dank, dass du dir die Zeit für das Interview genommen hast. 

Mehr Infos zu Carmen findet ihr hier: www.vegane-familien.de 

Photos von Carmen: Oliver Reetz | Sonstige Bilder: Envanto

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